Interview vom 11. Februar 2022 –
Was fällt Dir als Erstes ein, wenn Du an Kienbaum denkst, Alexander?
Meine Frau würde sagen: Sie denkt an mich! Spaß beiseite, natürlich bin ich mit Kienbaum sehr eng verbunden gewesen. Ich denke an mein Corporate Governance Team und an viele großartige Menschen, die ich für das Unternehmen habe gewinnen können und auch mit ausbilden dürfen. Das war für mich eine tolle Zeit, denn ich bin fest davon überzeugt: Menschen machen Unternehmen erfolgreich.
Gibt es da Menschen, die Dir ganz besonders in Erinnerung geblieben sind?
Ganz besonders in Erinnerung geblieben ist mir Jochen Kienbaum, weil er mir Chancen und Möglichkeiten eröffnet hat. Ich habe bei Kienbaum quasi meinen Berufseinstieg begonnen und es war schon ein Vertrauensvorschuss, den er mir da gegeben hat.
Es ist nicht so ohne weiteres möglich, z. B. in der Schweiz eine Gesellschaft zu gründen. Dieser Vertrauensvorschuss wurde mir gewährt und ich bin dann in die Schweiz gegangen und habe dort die Kienbaum AG gegründet. Das war quasi der Beginn des Ganzen und das war für mich schon eine ganz prägende Phase. Und Jochen Kienbaum ist auch als Mensch sehr, sehr prägend. Ich fand seine Ruhe, seine Zuverlässigkeit, seine Freundlichkeit und insbesondere sein Charisma als Mensch und als Person für das Unternehmen immer sehr wichtig.
Hast Du die Leute, die Du damals dort hineingeholt hast, im Blick und weißt noch, wer das ist und wo sie sich jetzt aufhalten oder gelandet sind?
Absolut. Alle! Netzwerke schaden nur dem, der sie nicht hat. Für mich ist das ganz entscheidend und daher bin ich immer noch eng mit den Kolleg:innen, Mitarbeiter:innen und Freund:innen verbunden. Mit ihnen teile ich schöne Erinnerungen und die sind für mich wichtig. In einem Beraterleben lernt man sehr viele Menschen kennen und hat das Glück, dass man viele Netzwerke aufbauen kann und das international – auch, weil die Branche sehr wechselhaft ist. Das stellt für mich eine großartige Rahmenbedingung dar. Und auch auf Kundenseite sind mir natürlich einige wunderbare Menschen im Kopf geblieben. Insbesondere, wenn man den Leuten hat helfen können, bleibt oft ein guter Kontakt bestehen. Das ist das Schöne an der Beratung.
Häufig gehen Menschen mit der Absicht in die Beratung, fünf bis sechs Jahre dort zu bleiben und dann in eine verantwortliche Linienfunktion oder ähnliches zu wechseln. Wie schaust Du zurück auf den Weg, den Du genommen hast? Fandest Du es gut, es so zu machen oder hättest Du Dir manchmal gewünscht, etwas früher in die Welt außerhalb der Beratung geschaut zu haben?
Insgesamt war ich fast ein Vierteljahrhundert bei Kienbaum. Einmal war ich kurz außerhalb und für ein Jahr bei der Firma SEW Eurodrive, ebenfalls ein großes mittelständisches Unternehmen.
Ich habe aber die Karriere bei Kienbaum genossen, weil ich dort immer Möglichkeiten hatte, unternehmerisch zu arbeiten, den Markt zu verantworten, Personalverantwortung zu haben und Teams aufzubauen, die mit mir gearbeitet haben. Das war wie eine große Familie für mich und das macht Beratung auch aus. Auch das Reisen habe ich sehr genossen. Heute ist das nicht mehr so en vogue, aber das Fliegen hat mir Spaß gemacht. Es war eine schöne Sache, zwar anstrengend, aber toll. Ich habe auf der privaten Seite viel investiert und das konnte ich nur, weil meine Frau mir den Rücken freigehalten hat. Wenn man in dieser Branche unterwegs ist und positives Feedback bekommt, dann ist das irgendwann wie eine Sucht. Dann möchte man das irgendwann immer machen. Wenn Du das gut machst, als Berater gut berätst, bekommst Du immer dankbares Feedback und es gibt nichts Schöneres auf der Welt, als gelobt zu werden.
Was ist der größte Unterschied für Dich, wenn Du die beiden Rollen vergleichst? Du hast auch bei Kienbaum das Unternehmen operativ mitgeführt.
Absolut. Das war mein Anspruch und das war auch wichtig. Bei Intersport leite ich einen Konzern mit großer Personalverantwortung. Aber ich habe auch eine Funktion, die auch zum Teil eine Beratungsfunktion in sich trägt, denn wir haben eine Genossenschaft. Da gibt es sehr viele selbständige Unternehmer und diese sind die Eigentümer; das ist ein bisschen auch so, als ob man eine Aktiengesellschaft führt. Interessen gilt es zu bündeln und zusammen zu bringen.
Aber sie sind eben auch Teil des Unternehmens und da geht es dann darum, auf diese Menschen zuzugehen und sie von dem, was sie tun, zu überzeugen. Jetzt hatte ich bei der Intersport direkt eine große Transformation vor der Brust. Das wusste ich bereits. Eine Strategie auszuarbeiten, die Intersport zukunftsfähig macht und nachhaltig, erfolgreichen Handel etabliert – und zwar nicht nur im stationären Bereich – sondern auch im Omnichannel-Bereich. Das ganze Thema Internethandel bzw. Onlinehandel musste etabliert werden – teilweise gegen die Wünsche der Eigentümer, das muss man dazu sagen.
Diese Strategie haben wir umgesetzt und das war eine große Herausforderung. Und dann kam Covid. Das war ein Thema für den stationären Handel, dass es (seit der Spanischen Grippe) so noch nicht gegeben hat. Das war für mich eine Riesenherausforderung. Am 19.03.2020 stand ich vor der großen Frage: Wie bekommst Du das Unternehmen nach vorne, obwohl alle Geschäfte – das heißt der stationäre Handel – geschlossen sind? Da haben wir uns Dinge einfallen lassen, wir haben sehr intensiv mit den Lieferanten gesprochen, wir haben dafür Sorge getragen, dass unsere Händler draußen auf der Fläche alle Informationen bekommen, wie sie mit der Situation und mit ihrem Personal umgehen müssen. Auch, wie man sicherstellen kann, dass nicht weitere Ware reinfließt, die wir bezahlen müssen, denn damals war das Thema Cashflow natürlich ganz prominent.
Du hast eben das Thema positives Feedback angesprochen, welches Du in der Beratung recht zügig von Kunden bekommst. Jetzt bekommst Du es vermutlich in Deiner jetzigen Position – gerade in der Transformationsphase – deutlich weniger?
Ja, eher kritisches aber zum Glück meist konstruktives Feedback, weil Veränderung auch immer unangenehm ist. Das kenne ich von mir selbst: Wenn ich mich aus einer Komfortzone bewegen muss, hinterfrage ich das sicherlich zwei- bis dreimal. Aber am Ende des Tages sind wir nun drei Jahre unterwegs und mittlerweile dreht sich das Rad schon wieder und die Leute sagen: Der Weg, den Du ausgearbeitet hast, und die Strategie und die Vorgaben, die Du gemacht hast, scheinen richtig gewesen zu sein.
Auf dem Weg dahin war es sehr intensiv. Meine Frau hat immer gesagt: Achtung an der Bordsteinkante, Augen auf bei der Berufswahl. Da hatte sie schon Recht. Es war nicht mehr das große Lob und Hurra, sondern es war eher die Überzeugungskraft, die man an den Tag legen musste, und auch negative Themen aufnehmen und entsprechend lösen. Das war eine andere Herausforderung. Dabei habe ich auch viel gelernt, aber es hat sehr viel Spaß gemacht. Und man muss da auch sehr kommunikationsstark sein, um die Dinge durchzusteuern.
Ich war jetzt z. B. am Montag noch einmal bei einem Händler in Berlin, „Intersport Olympia“. Ich habe in den drei Jahren 214 Händler an 214 Tagen besucht, das ist schon eine Hausnummer. Dadurch habe ich aber auch die Überzeugung der Händler mitnehmen können, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Der Einzelhandel ist durch eine wahnsinnig schwere Zeit gegangen. Wie schaust Du auf die Zukunft der Branche? Was sind die großen Themen, die dort aus Deiner Sicht anstehen?
Ich schaue sehr positiv darauf und es gibt große Chancen in den nächsten Jahren. Das Thema Expansion ist für uns ein wesentliches, alldieweil sich in der Tat Freiräume ergeben haben und weil das Wachstum des Onlinehandels nicht unendlich ist, für den Online-Handel gibt es nur eine Chance, und zwar die Vertikalisierung. Um weiter zu wachsen, muss man dann immer auch auf die Fläche gehen und vor Ort sein.
Und das wird auch eine ganz spannende Phase für den Handel insgesamt werden, weil dann klar wird: Ich brauche Menschen, die Vertrieb machen können, ich brauche Leute, die Teams auf der Fläche leiten können etc. Und damit tun sich die Onlinehändler ganz schwer. Da haben wir dann Riesenvorteile und dann wird sich der Markt noch einmal neu aufteilen.
Aber auch ein zweiter großer Punkt stellt in den kommenden Jahren eine große Chance für den Handel dar: das Thema Nachhaltigkeit. Das ist das Mega-Thema und da denke ich nicht nur an Nachhaltigkeit in der Produktentwicklung, sondern auch an Nachhaltigkeit in den Geschäftsmodellen und dem Vertrieb von Waren.
Ist es noch möglich, Pappkartons durch die Gegend zu fahren und die hin und her zu schicken? Ist das wirklich nachhaltig? Ja oder nein? Will die Gesellschaft das noch? Wie werden Waren vertrieben? Werden die Produkte wieder eingesammelt und zur Wiedergewinnung von Rohstoffen genutzt? Da gibt es so viele Themen, die noch offen und nicht adressiert sind und wo sich der Handel neu definieren kann – und muss. Gerade für junge Menschen besteht dort ein enormes Potential, sich zu differenzieren und intelligente Geschäftsmodelle auf zu bauen und Innovationen voran zu treiben.
Siehst Du in Deiner Funktion genug mutige Unternehmer, die die Chance beim Schopfe ergreifen, oder würdest Du Dir von einigen mehr Mut wünschen?
Das ist eine sehr gute Frage. Jetzt schau ich noch einmal auf Jochen Kienbaum zurück. Er hat mir einmal gesagt – und der Satz hat sich bei mir eingeprägt – „Alexander, Angst ist der schlechteste Berater“. Und damit hat er absolut recht. Da würde ich noch fünf Ausrufezeichen hinter machen.
In der jetzigen Phase sehe ich sehr viele Menschen, die versuchen, das, was sie haben, abzusichern. Sie haben Angst vor dem, was in der Zukunft kommt, und mauern sich ein bisschen ein. Das ist eine gefährliche Kiste. Man muss offen sein. Um die Zukunft für unsere Kinder zu gestalten, müssen wir jetzt unsere Erträge investieren. Man muss nur einmal auf das Thema Umwelt schauen, auf alles, was da auf uns zukommt. Es wird nur diskutiert in der Politik und der Wirtschaft, aber Lösungen, die umgesetzt werden, haben die wenigsten. Thema Greenwashing: Wenn ich große Unternehmen sehe, die ihre Dienstwagenflotte ausgliedern und sagen: Wir haben eine positive CO2-Bilanz an der Stelle, dann ist das alles sicher fragwürdig. Man nimmt sich Dinge und versucht irgendwie, sich durchzulavieren. Und jetzt braucht es Unternehmer bzw. Menschen, die die Chance beim Schopfe packen, große Dinge ins Auge fassen und dann auch den Mut haben, Neues zu denken und zu machen. Im Markt ist – so sehe ich das zumindest – auch sehr viel Kapital, um solche Leute dann auch zu unterstützen, und damit auch – gerade, was die Neugründung von Firmen betrifft – Möglichkeiten zu schaffen, die Zukunft zu gestalten. Leider gibt es zumindest in Deutschland offensichtlich zu wenig mutige und unternehmerische Menschen mit Unternehmergeist.
Deine Ansicht: Ran an den Speck?
Ran an den Speck. Vielleicht sind wir auch in Deutschland – und da nehme ich die junge Generation bewusst nicht aus – ein bisschen zu bequem geworden, so dass wir alle gemeint haben: Es läuft und geht doch alles. Die Politik hat in den letzten anderthalb Jahren, was die Förderung der Wirtschaft betrifft, einen guten Job gemacht. Das muss man anerkennen. Auf der anderen Seite ist nach dieser Phase aber auch die Wirtschaft gefordert, mutig heranzugehen und der Politik dieses Engagement zurückzuzahlen, sich richtig reinzuknien, die Themen für die Zukunft zu gestalten und im Wettbewerb international mitzugehen.
Um den Bogen noch einmal zurückzumachen: Du bist jetzt drei Jahre bei Intersport, also raus aus der Beratung. Hat sich Deine Überzeugung davon, was ein guter Berater tun muss, in der Zeit verändert oder ist sie stabil geblieben?
Wenn Du den eigenen Anspruch an Beratung meinst – der hat sich nicht verändert. Natürlich muss ich konstatieren, dass es auch in der Beratung Licht und Schatten gibt und viele, die einfach nur Klinkenputzen und versuchen, etwas zu verkaufen. Aber Beratung funktioniert nie nur durch Verkauf, sondern durch Überzeugung und Unterstützung. Daher sollte man immer ein gewisses Wertegefüge an den Tag legen.
Ich habe vorhin von Netzwerken gesprochen. Netzwerke gibt es nur für Menschen, die Beratung persönlich so leben, dass sie auf Vertrauen, Langfristigkeit und Nachhaltigkeit ausgelegt sind. Sie müssen gut zuhören können, alles für den Kunden tun und die individuellen und spezifischen Notwendigkeiten und Fragestellungen im Unternehmen auch entsprechend beratend unterstützen zu können. Dieser Anspruch ist ganz entscheidend, diesen Ansatz sollte man in sich tragen, meine ich, man sollte offen und ehrlich und transparent für den Kunden sein. Wichtig erscheint mir, immer – auch wenn etwas schiefgelaufen ist – dem Kunden sagen können: Ich stehe zu dem was wir gemeinsam erarbeitet haben, falls Probleme auftreten, lösen wir diese gemeinsam und übernehmen Verantwortung. Das ist mein Blick auf Beratung, wie ich Beratung gelebt habe und wie ich sie heute noch lebe, als CEO hier bei der Intersport: Ich berate meine Händler auch, wo ich kann, diesen Anspruch habe ich immer noch.